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Foucault beschreibt in seinem Werk “Überwachen und Strafen – die Geburt des Gefängnisses” die Disziplinierung und Perfektionierung des Individuums durch immer weiter anwachsende Überwachung.
Ist der Motor zur persönlichen Perfektion die gesellschaftliche Kontrolle?
Sind wir alle Sklaven, die nach Anerkennung dürsten und vom kostenintensiven Fremdzwang zum kostengünstigen Selbstzwang erzogen werden?
Ist der Anspruch zu Perfektion Unterwerfung?
Eine Grundvoraussetzung für Kreativität ist Freiheit. Dazu gehört auch die Freiheit Fehler machen zu dürfen, hässliche Layouts, grauenvolle Stühle und fürchterliche Texte zu produzieren. Es ist verlockend und auch völlig berechtigt, Stile zu imitieren und sich auf das Bekannte und die allseits abgesegneten Regeln zu verlassen.
Regeln nehmen der Freiheit ihren umfassenden Schrecken und schaffen einen Rahmen, in dem gerade wegen der herrschenden Beschränkung Kreativität möglich wird. Bei noch hinlänglich vorhandener Reflexionsgabe, kann man sich dann beizeiten einiger Regeln entledigen.
Sollte also der T-Shirt-Spruch “learn all the rules and break them” doch noch eine Berechtigung jenseits der Pubertät erhalten?
Im Hochschulkontext wird eine solche Einstellung im besten Fall gefördert, aber was dann? Was sagen die raue Welt und der schnöde Mammon?
Dystopisch gesehen, malen Künstler dann nur noch Bilder, die über teuren Ledersofas hängen, schreiben Literaten Seriendrehbücher und arbeiten Designer nur noch mit Svarovski zusammen.
Gute Künstler allerdings sind Hofnarren, unter dem Anspruch sich so wenig wie möglich Interessengruppen zu verpflichten und dadurch der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten. Welche Rolle hat der Designer? Welche Freiheit?
Der Designer verpflichtet sich genau wie der Künstler der Gesellschaft.
Die Sprache ist die Ästhetik, egal in welchem Medium und auf welchem Abschnitt der Schönheitsskala sie gesprochen wird.
Was also ist die künstlerische und gestalterische Antwort auf die Sozialisierung zur Serienperfektion?

Eben jene wirkt oft kühl, distanziert, dogmatisch, abweisend und unsympathisch.
Für den einen klingt Perfektion vielleicht drohend aggressiv,wie Traumküchen nach Maß, für den anderen wie ein Versprechen, versteckt auf dem sonnigen Gipfel des Berges.

Für die Gipfelstürmer ist Perfektion vielleicht ab und an beängstigend ob ihrer Ansprüche oder gar schieren Undenkbarkeit, bleibt jedoch immer das Ziel.

Dort auf jenem Berggipfel sitzen Dieter Rams, Jil Sander und Jonathan Ive in relaxter, intellektueller Guruminimalismusrunde zusammen, trinken grünen Tee und postulieren die spannende Harmonie in ultimativer Reduktion.
eben jener Perfektionsbegriff der Moderne wird heute fröhlich flächendeckend als Stil verwendet.

Mal abgesehen von den Gurus, allen Zwangsneurotikern, Einserschülern, Senkrechtstartern und perfekten Hausfrauen, was wäre Gestaltung ohne Anspruch?
Gestaltung ohne Haltung und den Anspruch etwas immer weiter zu optimieren, ist sinnlos.

Was und wen auch immer wir ansprechen und was wir sagen wollen, wir müssen es auf Augenhöhe tun.
Perfektion die nur glänzen will, ist keine Perfektion, sondern pure Eitelkeit.
Perfektion ist immer vom Adressaten abhängig, was wir als perfekt empfinden ist immer gekoppelt an kulturelle und zeitliche Umstände.

Eitelkeit kann man zerstören, Perfektion nicht.
Wenn Maarten Baas Stühle zu interessant geformten Briketts macht, dann verbrennt er etablierte Selbstzufriedenheit.

Es gibt kein Rezept für Perfektion, auch wenn einschlägige japanische Literatur für einige schon quasi an der Tür klingelt. Dabei darf nie vergessen werden, dass Perfektion wild ist und Wille zur Veränderung, sie ist niemals statisch.

Ja Platon, du bist auch gemeint!
Ihm zu Folge gibt es die unabänderliche, perfekte Form, allerdings nur in der Welt der Ideen.
Eine Idee kann natürlich wunderschön sein, es fällt leicht sich in eine Idee zu verlieben, egal ob man dabei an einen Stuhl oder einen Mensch denkt.

Wirklich relevant oder auch sexy, wie ein weiser Mann einmal sagte, wird sie aber erst mit dem Transfer in die Welt der Materie.
Glitzernde, glänzende Ideenprinzessinnen, die es mit der dreckigen Wirklichkeit aufnehmen können, das ist Perfektion.

Manchen von ihnen muss man vielleicht noch schnell etwas Bargeld und einen Ubahnplan zustecken, bevor sie schutzlos herumstolpernd in der rauen Welt verloren gehen, aber die, die es schaffen, die glänzen.

Aber glänzen nur die, mit den symmetrischen Engelsgesichtchen?
Ist Perfektion immer schön?
Dabei sind formalästhetische Perfektion und symbolische Perfektion zu unterscheiden.

Auch während man sich zu Tode langweilt, wenn in Sachen formalästhetischer Perfektion mal wieder Fibonacci, Symmetrie und Kontrast für alles verantwortlich gemacht werden, als Teile eines ästhetischen Systems fällt es uns doch einigermaßen schwer, unseren Blick zu objektivieren.

Doch erst wenn auch die Dimension der symbolische Perfektion dazu kommt, wird Gestaltung relevant.

Wir freuen uns meistens mit einem fast dümmlichen Ausdruck auf dem Gesicht, wenn Inhalt und Form sich endlich entsprechen. Wenn etwas funktioniert und der Zeitgeist auch noch zufrieden ist.

In einer Zeit von Finanzkrise und Occupy ist Perfektion vielleicht die inszenierte Imperfektion, die liebevoll zerrissene Strumpfhose und der zärtlich zerkratzte Lack.

Funktion und Perfektion, ein onomatopoetisches Traumpaar. Reibungslose Abläufe, Sicherheit und Ordnung. Perfektion und Religion. Der heiligen Harmonie und dem göttlich Guten ist nichts hinzuzufügen.
Der Kreis schließt sich, Wahrheit, pure Eleganz, der Prozess ist endlich vorbei und der nächste beginnt.