Die Legende lebt.

In ein paar Stunden werden von unten die Klänge der Paradiso Tanzbar heraufklingen, in der schon Freddy Mercury und David Bowie die Gläser hoben. Dann sitzt S. vielleicht mit angewinkelten Bein auf einem der knarzenden Küchenstühle, trinkt ein Glas Wein und bläst ein bisschen Rauch durch das große alte Küchenfenster über den Balkon, durch den Innenhof, in die Nacht hinaus. Diese Küche ist geschaffen für die Dunkelheit, aber auch einen darauf folgenden, glücklich vernebelten Sonnenaufgang kann man sich darin gut vorstellen. Stille Mitbewohner sind ein paar schwarz-weiße Jungs. Keith Richards im “Who the fuck is Mick Jagger”-Shirt, ein verschwitzter Iggy Pop und Earl Slick neben seiner Framus Gitarre. Es riecht nach Jasmintee. Die weißen Fließen reflektieren das Licht der schmiedeeisernen Deckenlaterne.

Der Übergang von weißer Küche in oranges Wohnzimmer ist weit offen, aber nicht fließend.

Links vorbei an der alten, hölzernen Küchenvitrine mit den Teekannen und rechts vorbei am Ofen, betritt man eine Höhle. Das Licht ist blutorange. Neben dem Sofa wartet der Laptop samt Lesebrille auf seinem Barhocker. Der flauschige und irgendwie eigenwillig anziehend gemusterte 70er Jahre Teppich lädt zum Niederlassen ein. Jetzt Moonlight Mille von den Stones hören und an das graubeige Sofa mit dem Frottebezug lehnen. Hinter und über einem der 35-jährige Ficus, weise verknittert. Man fühlt sich in bester Gesellschaft. Die ganze Wand gegenüber blickt einen aus unzähligen Augen an. Animalisch, extraterrestrisch, kubistisch, abstrakt, fremd. Wie geheimnisvolle Zeugen alter Zeremonien hängen die Masken in Reih und Glied. Nur eine fällt aus der Reihe und hat ihren ganz eigenen Platz über dem Schubladenschrank: die Hexermaske der westafrikanischen Grebo, aus dunklem Holz, mit drei stilisierten, maschinenartigen Augenpaaren und beweglichem Kiefer. Links und rechts davon türmen sich zwei sicher sehr basslastige Lautsprecher auf. Musik vibriert in diesem Raum, obwohl gerade alles still ist. Eine dunkle Westerngitarre mit kunstvollen Intarsien wartet auf die nächste Johnny Cash-Session. Die schlichten offenen Holzregale sind Archive. Eine beeindruckende Plattensammlung hat hier ihren Platz, sowie Douglas Adams, Pippi Langstrumpf und Issey Miyake.

Das Schlafzimmer ist dunkel. S. schläft auf einem Futon, direkt unter zwei großen Fenstern. Der Kleiderschrank aus unlackiertem Fichtenholz steht offen und ist uneitel klein. Die vorherrschende Farbe der Insassen ist Schwarz. An der Schranktür hängt ein ebenso schwarzes, dekonstruiert viktorianisches Issey Miyake Jackett auf dem Bügel. Die offensichtlich öfter getragenen Lederjacke ist über den Hocker gestreut.

S. war schon hier, als im Hipsterparadies noch Brokatstoffe für den heimischen Buckinghampalast verkauft wurden. Wenn es etwas wie Juwelen aus nichtgentrifizierter Zeit gibt, dieser Ort ist einer davon.

Wir hängen an Dingen. An den Geschichten, die Dinge erzählen. Also, S. Wenn du irgendwo nochmal neu anfangen müsstet und nur sieben Sachen mitnehmen dürfstest, was würdest du mitnehmen? Und was würdest du vermissen?

Eigentlich müsste ich alle meine Platten mitnehmen, aber wenn ich nur eine einzige auswählen dürfte, dann “Sticky Fingers” von den Rolling Stones.

Natürlich würde ich die Gitarre und meine Lieblingsmaske, die Hexermaske aus Westafrika mitnehmen. Die hab ich allerdings in New York gekauft.

An meiner Kleidung hänge ich im allgemeinen nicht so sehr, aber ein Stück müsste ich unbedingt dabei haben. Es ist das teuerste Kleidungsstück, das ich besitze, ein Issey Miyake Jackett. Das habe ich aus einem Second Hand Laden in Paris und ja, trotzdem ist es das Teuerste, das ich besitze. Könnte ich noch mehr mitnehmen, würde ich auch meine Issey Miyake Bücher einpacken, besonders “East meets West”.

Sehr wichtig wäre mir allerdings dieses Buch. Das ist eigentlich für Kinder, es heißt “Die Mumins”, das sind kleine Trolle. Die Seiten sind schon ganz vergilbt, aber es gibt einfach immer wieder Momente an einsamen Winterabenden, da muss ich dieses Buch lesen.

Meine Kamera gehört sowieso zur Grundausstattung. Bilder sind wichtig.

Überall aufhängen müsste ich das Iggy Pop live Bild, das habe ich selber geschossen. Wie seine nassen Haare da so an seinem Oberkörper kleben, das ist einfach Wahnsinn.

Bilder sind doch auch sehr handlich, da nehme ich noch eines mit und zwar dieses Keith Richard Bild, das habe auch ich gemacht. Da hat er nur für mich posiert, in Oberhausen beim Soundcheck und du musst wissen, dieser Mann ist die einzige Kirche, in der ich je Mitglied sein werde.

Vermissen würde ich meine Blitzanlage und meine großen Lautsprecher, die sind von der Highfish-Bar, gegenüber meiner alten Radiostation.

Sehr vermissen würde ich auch meinen 35-jährigen Ficus, der hat mich schon an vielen Orten begleitet.

Den alten Küchenholzschrank mag ich auch sehr. Das ist eine wirklich schön restaurierte Antiquität aus Polen, war ein echtes Schnäppchen bei Ebay.

Vermissen würde ich auch meine Lieblingsteekanne von Rosenthal, die nenne ich mein UFO.

Meine Maskensammlung würde mir auch sehr fehlen. Manchmal wenn ich Besuch habe, lasse ich die Leute einen Maske auswählen, die ihnen am besten gefällt. Das sagt mir oft sehr viel über den Betreffenden.

Oft sind es ja auch die alltäglichen, unglamourösen Dinge, die einem dann am meisten fehlen, das wäre in meinem Fall bestimmt der Teppich in meinem Wohnzimmer.

Und ganz bestimmt würde ich mich früher oder später wahnsinnig ärgern, meine Reise ohne den Hitchhiker’s Guide to the Galaxy angetreten zu haben.